Was ist mit den Toten?
Ostergruß des Hildesheimer Bischofs Dr. Josef Homeyer
Was ist eigentlich mit den Toten? – Sind die Toten einfach tot? Viele, sehr viele denken heute so. Die Toten sind einfach tot. Punkt; Aus. Und das ist ja auch nicht falsch. Die Toten sind tot. Sie reden nicht mehr, sie tun nichts mehr, sie planen nicht mehr, sie lachen und weinen nicht mehr – ja: sie produzieren nichts mehr. Tote können nichts mehr bringen, im Gegenteil: Tote verursachen Kosten. Ein Begräbnis ist teuer, die Grabpflege auch. Immer mehr Menschen entscheiden sich deshalb für eine anonyme Beerdigung unter dem grünen Rasen: kein Namen, keine Blumen – Punkt; Aus.
Es bleibt also nur ein ganz normales Leben, das irgendwann, irgendwie zu Ende geht. Es bleiben viele Alltage mit Alltagssorgen, ein paar Feste, ein bißchen Vorwärtskommen und Sicherheit. Es bleiben vor allem Bedürfnisse. Denn man muß sehen, daß man von einem relativ kurzen Leben nicht zuwenig mitbekommt, zumindest nicht weniger als die anderen. Schließlich: Man lebt nur einmal, man gönnt sich ja sonst nichts.
Was ist eigentlich mit den Toten? Ich möchte die Frage verschärfen: Was ist mit den Toten, die vor uns gelebt haben, mit all denen die gesagt haben: "Meine Kinder sollen es einmal besser haben". Was ist mit der Mutter, die in Bombennächten ihr Kind beschützt hat und selber getroffen wurde? Was ist mit dem Vater, der verhungert ist, damit seine Kinder zu essen haben? Was ist mit den ermordeten Schülern von Erfurt? Was ist mit den vielen, die schon im Leben keinen Namen hatten und in ein noch namenloseres Dunkel, den Tod, gegangen sind?
Wir Christen bestehen auf solchen Fragen. Christsein heißt auch, sich die einfachen Fragen nicht abknöpfen zu lassen, heißt auch, die Kinderfragen zu verteidigen: "Was ist, wenn wir keine Bäume mehr haben? Warum gibt es Krieg? Und eben: Was ist mit den Toten?" Eine Gesellschaft ohne solche Fragen ist nicht mehr human; sie argumentiert auf hohem Niveau – aber ist das allein schon menschlich?
So aber, vor unseren unersetzlichen Kinderfragen, bekennen wir unsere Hoffnung: "Der Herr ist wahrhaft auferstanden." Also: Die Toten sind nicht vergessen. Es gibt nicht nur eine Zukunft für uns, sondern auch eine Zukunft für die Toten. Wir glauben, daß unsere Toten in Gottes Hand geborgen sind. Wir glauben, daß das Leben der Toten mehr ist als jeder Sinn des Lebens, den wir selber benennen. Wir glauben, daß Jesus Christus auferstanden ist, und das ist mehr als alle Bedürfnisse, mehr als alles Gelingen und Scheitern, mehr als alle Utopien.
Lassen wir uns also die Kinderfragen nicht abknöpfen. Bestehen wir auf einer humanen Gesellschaft, in der die Toten nicht vergessen sind. Feiern wir Ostern. Unsere Hoffnung ist Jesus Christus.
Dr. Josef Homeyer
Bichof von Hildesheim