Gegen eine falsche Wohlstandsillusion
Hildesheimer Bischof fordert Umdenken bei Politikern und Bürgern
Hildesheim/Potsdam (bph) Eine Neubestimmung der Sozialpolitik hat der Hildesheimer Bischof Dr. Josef Homeyer gefordert. Der Wohlfahrtsstaat der 70er und 80er Jahre könne und solle nicht wiederhergestellt werden, sagte Homeyer am Montagabend bei den Berlin-Brandenburger Gesprächen in Potsdam.
Das System kollektiver Umverteilung durch den Sozialstaat hat nach Ansicht Homeyers, der auch Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz ist, die gesellschaftlichen Kräfte der Eigenverantwortung, Solidarität und Gemeinwohlorientierung nachhaltig geschwächt. Reformen dürften daher nicht die überkommene "Wohlstandsillusion" wiederbeleben, sondern sollten zu einer völligen Umorientierung in Richtung auf mehr Nachhaltigkeit und Eigenverantwortung führen.
Als wesentliche Reformbarrieren beschreibt der Hildesheimer Bischof den starken Korporatismus in Deutschland und die Dominanz von Einzelinteressen über das Gemeinwohl. Dies berge "das Risiko, dass leichter organisierbare, verbandliche Partikularinteressen nachhaltiger zur Geltung kommen als die weniger gut organisierten Interessen", sagte Homeyer in Potsdam. Zudem verstricke sich die föderale Ordnung der Bundesrepublik, bei allen Vorteilen die sie habe, zu oft in Kompetenzgerangel und unklare Zuständigkeiten. Die unterschiedlichen Rhythmen der Wahlen, so Homeyer, führen darüber hinaus praktisch zu einem Dauerwahlkampf, der einer sachorientierten Politik nicht förderlich ist.
Homeyer schlug in Potsdam daher vor, die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern besser zu bestimmen und die Zuständigkeiten der Länder tendentiell zu stärken: "Ein funktionierender Föderalismus fördert die Reformfähigkeit, weil er zu einem Wettstreit um die bessere Lösung führt". Gestärkt sehen möchte der Hildesheimer Bischof auch jene staatlichen Institutionen, welche die notwendige Datenbasis für soziale Reformen bereit stellen müssen, etwa das Statistische Bundesamt und den Bundesrechnungshof.
Auf der Grundlage sicherer Daten könnte nach Homeyers Vorstellungen eine interdisziplinär zusammengesetzte Sachverständigengruppe regelmäßig einen "Sozial-TÜV" erstellen. Eine solche Gruppe sollte neue Wege der Chancengerechtigkeit aufzeigen und sich mit einer Neuabgrenzung zwischen der gesellschaftlichen Verantwortung und der Eigenverantwortung des Einzelnen beschäftigen, schlägt der Hildesheimer Bischof vor. Zu klären sei auch, ob Reformen gesellschaftliche Gemeinschaftsformen, insbesondere die Familie, stärker berücksichtigen sollten.
Homeyer kündigte in Potsdam ein Memorandum der Deutschen Bischofskonferenz zu diesen Themen an. "Darin soll aufgezeigt werden, dass eine nachhaltige Reform unseres Sozialstaates nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist", sagte Homeyer.