Das Neue wagen

Weihnachtsbrief des Bischofs an die Missionskräfte in aller Welt

Liebe Schwestern und Brüder in der Mission,

auch zu diesem Geburtsfest unseres Herrn grüße ich Sie herzlich aus dem Heimatbistum Hildesheim. Von hier möchte ich gerne wiederum einiges berichten.

Das vergangene Jahr stand gesellschaftlich und politisch unter der Überschrift "Lähmung". Neben der Konjunkturkrise und der sich damit deutlich verschärfenden Massenarbeitslosigkeit stehen die öffentlichen Kassen vor einem Scherbenhaufen. Insbesondere die demographische Entwicklung stellt die Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme in Frage. Der lähmende Schock sitzt tief. Man fragt sich, ob es in der reichen bundesrepublikanischen Gesellschaft nicht eine heimliche Prämisse gegeben hat, die sich nun negativ als Lähmung ausdrückt: Dass wir nämlich unter der Garantie ewigen Wohlstands uns so etwas wie eine wagnislose Existenz, ein vollkaskoversichertes Leben ausgemalt haben. Bei allen politischen Einzelmaßnahmen scheint diese kulturell-ideologische Disposition zur selbstgenügsamen Sorglosigkeit das größte Problem zu sein.

Sehr dankbar bin ich gerade in dieser Situation, dass es uns in der Kommission VI der Bischofskonferenz gelungen ist, einen hochrangigen Expertenkreis der verschiedenen Wissenschaften zusammenzubringen, der unter dem Titel "Das Soziale neu denken" sehr grundlegende Richtungshinweise zur Lösung der anstehenden Herausforderungen erarbeitet. Ohne eine ebenso grundlegende Aufarbeitung unserer Selbsttäuschungen wird es aber nicht gehen.

Das gilt natürlich mutatis mutandis auch für den kirchlichen Binnenbereich. Bei meinen Pastoralbesuchen des vergangenen Jahres habe ich mich, bei allem, was beeindruckend von vielen in großer Treue geleistet wird, doch manches Mal gefragt, ob unsere Pastoral, unser kirchliches Leben hierzulande doch sehr wagnislos geworden ist. Ob wir uns in völlig veränderter Lebenswelt nicht doch zu sehr mit der Bewahrung jener Grundannahmen und Strukturen beschäftigen, die wir uns seit den 70er Jahren angeeignet haben. Aber das ist nun auch über 30 Jahre her; wer wagt also eine kritische Relecture dieser Settings – um der Menschen willen, für die wir schließlich da sind?

In dieser Situation hat es mich nun doch sehr ermutigt, dass wir den vom Priesterrat vor drei Jahren angestoßenen Prozess "Sakramentenpastoral" zum Abschluss gebracht haben. Was hier in einer durchaus differenziert-kritischen Relecture unserer sakramentenkatechetischen Erfahrungen an Standortbestimmung gelungen ist, lässt hoffen: Für eine mystagogische Sakramentenpastoral, die nicht rekrutiert, sondern hineinnimmt in das Geheimnis Gottes und so die Liturgie notwendigerweise wieder ins Zentrum aller Katechese stellt!

Ebenso lassen mich verschiedene Neuansätze, die über die gewordene Gemeindepastoral hinausweisen, hoffen: die Citypastoral in Hannover und Göttingen, die Priestergemeinschaft in Goslar, die beiden Projekte missionarischer Seelsorge in größerem pastoralen Raum in Hannover-Ost und Lüneburg, neue Wege der Jugendpastoral etwa in Marienrode oder in Hl. Kreuz in Hildesheim. Auch wenn diese Projekte die Arbeit einer Generation übersteigen werden, es sind doch Zeichen miteinander geteilter Hoffnung: heute!

Für solche Zeichen, liebe Schwestern und Brüder, möchte ich Ihnen auch in diesem Jahr von Herzen danken. Das Wagnis der Mission, gleichsam ein Gegenbild zu jeder wagnislosen Pastoral, macht auch die Heimatkirche von Hildesheim reicher und ermutigt sie. Für dieses Zeugnis, das im Wagnis der Menschwerdung seinen Grund und seine Verheißung hat, also mein herzlicher Dank!

Ihnen und allen, die mit Ihnen durch dieses Jahr gegangen sind, wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein erfülltes Jahr 2003.

Mit herzlichen Grüßen und Segenswünschen

Ihr

+ Josef Homeyer